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Der Leiter der Interpol erklärte, dass es Schwachstellen im Kampf gegen die Mafia in Nigeria gibt


Der Interpol-Chef über die nigerianische Mafia Black Axe: «Das Ziel kann es nicht sein, bloss die kleinen Mitläufer zu erwischen. Wir müssen an die grossen Fische herankommen»

VIDEO: Black Axe: Global Nigerian Underworld Group
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Wie gefährlich das kriminelle Netzwerk ist und wie es zurückgedrängt werden kann, erklärt der Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock.

An der Zürcher Langstrasse stehen jeden Tag junge Frauen aus Nigeria, die zur Prostitution gezwungen werden.

Die Arme der Mafia reichen bis an die Zürcher Langstrasse. Ein Grossteil der jungen Nigerianerinnen, die an der Partymeile anschaffen, wird zur Prostitution gezwungen. Orchestriert wird der Menschenhandel von einem kriminellen Netzwerk, das sich immer stärker in der Schweiz ausbreitet. Es nennt sich Black Axe.

Zürich gilt als wichtiger Standort der Gruppierung, eine der mutmasslich zentralen Figuren des Netzwerks ist hier wohnhaft. Es handelt sich um einen Mann, der sich in den sozialen Netzwerken offen in den gelb-schwarzen Farben der Bruderschaft zeigt. Auf Bildern ist auch das Logo von Black Axe auf seiner Brust zu sehen. Laut mehreren voneinander unabhängigen Quellen war er zeitweise auch der «zonal head» der Schweiz.

Was können die Behörden dem kriminellen Netzwerk entgegensetzen, das durch eine enorme Flexibilität auffällt und das über ein ausgeklügeltes, weltweit funktionierendes Geschäftsmodell verfügt?

Diese Frage beschäftigt auch Jürgen Stock. Der 63-jährige Deutsche steht seit 2014 an der Spitze der internationalen Polizeibehörde Interpol und hat den Kampf gegen das global agierende Verbrechen zu einem Schwerpunkt seiner Agenda erklärt.

Herr Stock, in einer Interpol-Mitteilung vom letzten Herbst hiess es, Black Axe sei auf dem Weg, rasch zu einer weltweiten Bedrohung für die Sicherheit zu werden. Wie gefährlich ist die nigerianische Mafia?

Der Interpol-Chef Jürgen Stock.

Der Interpol-Chef Jürgen Stock.

Heiko Becker / Reuters

Ich halte Black Axe für sehr gefährlich. Es handelt sich um ein weltweit agierendes, straff organisiertes kriminelles Netzwerk, das ähnlich funktioniert wie die klassische Mafia in Italien. Black Axe operiert in Feldern quer durch das Strafgesetzbuch – vom Menschenhandel über Drogenschmuggel bis zu digitalen Betrugsformen wie «romance scam». Durch die enormen Erlöse aus den kriminellen Machenschaften hat das Netzwerk in den letzten Jahren an Macht und Einfluss gewonnen.

Sie sprechen von enormen Erlösen. Um welche Summen geht es?

Wir reden über mutmassliche Milliardenbeträge. Ein Grossteil des illegal erwirtschafteten Geldes wird in legale Geschäftszweige reinvestiert, zum Beispiel in Immobilien oder Unternehmen.

In Italien gilt Black Axe bereits als fünfte Mafia. Würden Sie zustimmen?

Wir teilen die Besorgnis, die viele Polizeichefs äussern – eben, weil Black Axe ähnlich organisiert ist wie die italienischen Mafiaorganisationen ’Ndrangheta oder Cosa Nostra. Und sie ständig auf der Suche nach neuen kriminellen Geschäftsmodellen ist.

Trotzdem kommen die Ermittlungen nicht richtig in Gang. Und: Im Gegensatz zur italienischen Mafia oder zu den südamerikanischen Drogenkartellen ist Black Axe kaum bekannt. Wie kann das sein?

Interpol arbeitet im Moment an einem globalen Lagebild. Bis jetzt sind die Informationen noch zu sehr verstreut in den Ländern, in denen sich Black Axe bereits festgesetzt hat.

Hat man das Problem bisher nicht genügend ernst genommen?

Na ja, wir müssen die Priorisierung tatsächlich überdenken. Wir sind gerade bei der Bekämpfung von Black Axe auf internationaler Ebene spät dran. Gegen solche Strukturen muss man möglichst frühzeitig vorgehen. Je stärker sie sich nämlich etablieren, desto schwieriger und kostspieliger wird es, sie zurückzudrängen. Ausserdem müssen wir erfolgreicher werden bei der Sicherstellung krimineller Gewinne. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das die Problematik bei Ermittlungen gegen organisierte Kriminalität generell aufzeigt: Weltweit werden jährlich schätzungsweise zwei Billionen Dollar an kriminellen Geldern durch das internationale Finanzsystem geschleust. Strafverfolger stellen aber weniger als ein Prozent dieser gigantischen Erlöse sicher. Das heisst, wir müssen die Risiken für die Kriminellen deutlich erhöhen.

Wie kann der Kampf gegen Black Axe doch noch gelingen?

Für Black Axe haben wir eine globale Analyse gestartet. In der Schweiz bin ich beispielsweise in engem Kontakt mit der Chefin der Bundeskriminalpolizei Fedpol, die dieses Projekt unterstützt. Ziel ist es, unseren Mitgliedstaaten, auch der Schweiz, mit einem besseren Lagebild schlagkräftigere Operationen zu ermöglichen. Zentrale Analyse führt zu mehr dezentralen Ermittlungserfolgen, das ist die kriminalistische Logik dahinter.

Ein besseres Lagebild: Was heisst das konkret?

Wir bündeln derzeit Informationen aus über dreissig Mitgliedstaaten, in denen Black Axe besonders aktiv ist, um das Ausmass der kriminellen Strukturen erkennen zu können. Hierzu brauchen wir vor allem den Ermittler vor Ort, der die lokalen Gegebenheiten gut kennt. Dessen lokal erlangte Informationen müssen national und international zusammengeführt werden, um grenzüberschreitende Strukturen zu erkennen. Das Ziel kann nicht sein, bloss die kleinen Mitläufer zu erwischen. Wir müssen an die grossen Fische herankommen. Das geht nur, wenn die Analyse und die Ermittlungen weltweit koordiniert werden. Interpol kommt dabei als einziger globaler polizeilicher Informationsdrehscheibe eine Schlüsselrolle zu.

Wo suchen Sie denn die «grossen Fische»?

Nigeria ist sicher ein Schlüsselland, weil Black Axe dort ihren Ursprung hat. Wir haben dort auch schon einige Ermittlungserfolge erzielt. Die Gruppierung ist inzwischen allerdings weltweit tätig und hat in verschiedenen Ländern – auch in Europa – regionale Zonen gebildet. Dort sitzen ebenfalls Mitglieder mit Führungsfunktionen. An sie wollen wir auch herankommen.

Wie ist denn Black Axe organisiert?

Es gibt eine sehr straffe Führung, Initiationsriten und Schweigegelübde. Das macht auch die Ermittlungen enorm schwierig. So gut wie niemand redet mit der Polizei, auch die Opfer nicht, die häufig mit offener Gewalt oder subtileren Methoden massiv unter Druck gesetzt werden.

Das widerspricht teilweise den Erkenntnissen von Insidern, die ein loses, fluides Netzwerk beschreiben – ohne klare Hierarchien. Black Axe sei eine Art Linkedin für Kriminelle. Ob falsche Pässe, Kuriere oder Bankkonten: Die Mitglieder der Bruderschaft könnten fast alles innert Stunden besorgen – weltweit. Was ist nun richtig?

Tatsächlich können spezialisierte Mitglieder von Black Axe Dokumente fälschen, Drogen schmuggeln oder Bankkonten beschaffen. Aber sie schliessen sich dafür nicht auf einer quasi offenen Plattform freiwillig und auf Zeit zusammen. Der Vergleich mit Linkedin hinkt deshalb etwas. Es ist nicht wie bei heutiger Cyberkriminalität, wo das Geschäftsmodell «Crime-as-a-Service» ist. Wie bei den Gelben Seiten früher tut man sich im Darknet je nach krimineller Expertise und eben eher lose zusammen, ohne dass die Akteure sich persönlich oder mit Klarnamen kennen müssen. Black Axe verkörpert hingegen eben eher das klassische Mafiamodell.

Black Axe hat vor allem in Nigeria den Ruf, äusserst brutal vorzugehen. Sehen Sie Hinweise darauf, dass die Gewalt auch nach Europa überschwappt?

Traditionell spielen Gewalt, Druck und Kidnapping tatsächlich eine grosse Rolle im Vorgehen der nigerianischen Mafia. Wir beobachten aber auch, dass Black Axe vermehrt versucht, Aufmerksamkeit zu vermeiden. Wenn die Strafverfolger ihre Ressourcen anderswo einsetzen, lässt es sich einfacher kriminell handeln. Umso wichtiger sind deshalb initiative Ermittlungen dort, wo keiner der Beteiligten ein Interesse hat, zur Polizei zu gehen. Nur so gelingt es Stück für Stück, das Dunkelfeld unerkannter krimineller Aktivität auszuleuchten.

Für die breite Bevölkerung bleibt die organisierte Kriminalität häufig verborgen. Was ist die konkrete Bedrohung für den Bürger?

Die Gefahr liegt etwa darin, dass die exorbitanten kriminellen Erlöse in den legalen Wirtschaftskreislauf eingeführt werden. Das kann rechtschaffene Mitbewerber aus dem Markt drängen. In fragileren Staaten können Teile der Bevölkerung gar ihre Lebensgrundlage durch kriminelle Konkurrenz verlieren. Auf der anderen Seite kann das Gewaltpotenzial steigen. Das sehen wir derzeit im Drogenhandel, auch vereinzelt hier in Europa. Es gibt zunehmend gewaltsame Auseinandersetzungen krimineller Gruppierungen auf offener Strasse, denen auch Unschuldige zum Opfer fallen. Korruption ist weit verbreitet, und wir sehen vermehrt Einschüchterungsversuche und Gewalt gegen staatliche Entscheidungsträger. Insgesamt eine Entwicklung, die ich mit grosser Sorge sehe, auch weil wir es derzeit mit parallelen globalen Krisen zu tun haben, die von international agierender organisierter Kriminalität eher als Chance für höhere Profite gesehen werden.

Die Operation mit dem Codenamen «Schakal» im Herbst 2022 war die erste global koordinierte Polizeiaktion gegen Black Axe. Die Bilanz der Aktion: 75 Festnahmen, auf Bankkonten eingefrorene Gelder in der Höhe von 1,2 Millionen Euro sowie 12 000 beschlagnahmte SIM-Karten, Luxusautos und einige Liegenschaften. Mehr als ein Minischlag war das nicht.

Es war schon ein Schlag, der bei den Kriminellen für gewisse Unruhe gesorgt hat. Die Ergebnisse der Operation «Schakal» sind zudem Ausgangspunkt für weitere Ermittlungen. Aber man darf die Wirkung auch nicht überschätzen. Zu glauben, dass wir eine global operierende Gruppierung in kurzer Zeit zurückdrängen können, ist illusorisch. Da sind langer Atem und erheblicher Ressourceneinsatz gefragt. Und die Ressourcen sind überall knapp.

Woher wissen Sie, dass die Operation für Unruhe gesorgt hat?

Wir bekommen das über Beobachtungen unserer Mitgliedstaaten mit. Aber wie gesagt: Wir dürfen uns keine Illusionen machen. In vielen Staaten ist Black Axe in einer besorgniserregenden Art und Weise gewachsen und hat sich im legalen Wirtschaftskreislauf festgesetzt.

Welche Länder sind besonders stark betroffen?

Dazu will ich mich momentan nicht äussern, weil das Analyseprojekt noch läuft. Es ist vor allem die globale Ausdehnung, die uns Sorge bereitet.

In welche Richtung muss die Bekämpfung von organisierter Kriminalität in Zukunft gehen?

Der Trend muss dahingehen, national und international Informationszentren einzurichten, die dauerhaft an diesen komplexen Phänomenen arbeiten, auch unter Zuhilfenahme moderner Analysemethoden. Dazu gehört übrigens, natürlich auf sicherer rechtlicher Grundlage, eine engere Kooperation mit anderen staatlichen Stellen und dem privaten Sektor, wo vielfach relevante Informationen vorliegen. Wir müssen mehr Brücken schlagen zwischen den Informationsinseln. Unser Konzept zur Bekämpfung von Cyberkriminalität steht hier Modell: Wir haben eine feste Kooperation mit weltweit operierenden IT-Sicherheitsfirmen und Telekommunikationsanbietern. In einem gemeinsamen Zentrum sitzen Experten fast täglich zusammen, um die kriminelle Bedrohungslage im Cyberspace zu besprechen. Da geht es nicht um personenbezogene Daten, sondern um neue Angriffsstrategien, die sich schnell weltweit verbreiten. Dasselbe Modell wollen wir bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität anwenden. Informationsaustausch in Echtzeit ist das Stichwort. Man kann das nicht mehr machen wie damals, als ich noch an der Basis ermittelt habe. Diese Zeiten sind vorbei.

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Author: Patrick Valdez MD

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